Aortenchirurgie
F. Schoenhoff I
Aortendissektion
Bei einer Aortendissektion entstehen Wandrisse der inneren Schicht der Hauptschlagader (Aorta), ohne dass die äussere Schicht der Gefässwand unterbrochen wird. Diese kann spontan oder nach schweren Anstrengungen auftreten, oft in direktem Zusammenhang mit einem erhöhten Blutdruck. Das Blut wühlt sich in der Folge einen Weg zwischen den inneren zwei Wandschichten und der äusseren Wandschicht der Hauptschlagader. Der Patient verspürt in der Regel einen noch nie erlebten, messerstich-artigen Schmerz zwischen den Schulterblättern, der entlang der Wirbelsäule nach unten wandert. Die Hauptgefahr bei den Dissektionen liegt darin, dass es zu einer Mangeldurchblutung von Organen oder Gliedern kommen kann, weil wichtige Seitenäste der Hauptschlagader verstopfen oder eingeengt sind. Gelegentlich kann der Druck auf die äussere Schicht so gross sein, dass diese einreisst und eine schwere Blutung entsteht. Dann ist der Patient in einer lebensbedrohlichen Situation.
Operationstechnik
Um Mangeldurchblutungen von Herz und Gehirn zu vermeiden werden akute herznahe Dissektionen in einer Notoperation durch einen Herzchirurgen operiert. Dissektionen, die primär Brust- oder Bauchschlagader betreffen, werden zunächst konservativ, das heisst durch medikamentöse Senkung des Blutdrucks und mit Schmerzmittel, behandelt. Eine Mangeldurchblutung der Bauchorgane oder der Beine kann oft mittels Einlage eines Stentgrafts verbessert werden. Gelegentlich muss die Membran, die eingerissen ist, kathetertechnisch gefenstert werden. Damit können offene Operationen in der Akutphase der Dissektion verhindert werden. Unabhängig der Behandlungsart müssen Patienten mit Aortendissektionen lebenslänglich nachkontrolliert werden, da die Wandschicht der Hauptschlagader nach dem Riss geschwächt bleibt. Der Durchmesser der Hauptschlagader beginnt in der Folge langsam zu wachsen. Etwa bei einem Drittel der Patienten wird nach Monaten oder gar vielen Jahren ein offener Ersatz der Hauptschlagader notwendig, weil die Hauptschlagader den Durchmesser von sechs Zentimetern erreicht hat (siehe Kapitel „Brustschlagader-Aneurysma“). Eine Behandlung mittels Stentgraft ist in dieser Situation oft nicht möglich. Patienten nach Aortendissektionen werden bei uns lebenslänglich in der Aortensprechstunde nachkontrolliert.
Nachbehandlung
Die Arbeitsunfähigkeit beträgt in der Regel drei Monate. Es ist wichtig, dass Patienten nach einer Aortendissektion – egal ob sie operiert wurden oder nicht - sich körperlich schonen und in den ersten sechs Monaten keinesfalls einem strengen Trainingsprogramm zugeführt werden! Körperlich Leistungsfähigkeit ist in dieser Phase, in der die Hauptschlagader am anfälligsten ist, nebensächlich. Nach sechs Monaten werden die Patienten zu einer klinischen und Röntgen-Verlaufskontrolle in die Aortensprechstunde gebeten. Davor wird in der Regel eine Computertomografie oder MR-Angiografie (MRI) am gleichen Tag durchgeführt. Wir empfehlen, das Tragen von Gewichten über fünf bis zehn Kilogramm für drei Monate zu vermeiden und lebenslang nicht mehr als 20 Kilogramm zu heben. Patienten mit Aortendissektionen sollten langfristig in medizinischer Kontrolle bleiben. Erst wenn die Hauptschlagader stabil ist, werden die Abstände zwischen den Kontrollen länger und können im besten Fall alle fünf Jahre erfolgen.
Brustschlagader-Aneurysma
Die Hauptschlagader (Aorta) entspringt dem Herz und endet auf Bauchnabelhöhe mit der Aufzweigung in die Beckenschlagadern. Aneurysmen (Erweiterungen) der Brustschlagader oder der Schlagader am Übergang vom Brust- in den Bauchbereich sind wesentlich seltener als das Bauchaortenaneurysma (Einteilung nach Crawford). Sie entstehen einerseits durch kontinuierliches Wachsen im Rahmen von erhöhtem Blutdruck, chronischen Lungenerkrankungen oder bei Rauchern. Andererseits kann ein Aneurysma nach einer Dissektion (Einriss der Innenschicht) entstehen, weil die Wand geschwächt ist. Seltenere Ursachen sind Bindegewebserkrankungen, die vererbt sein können. Das primäre Behandlungsziel ist offensichtlich: nämlich, das Platzen des Aortenaneurysmas, die sogenannte Aortenruptur, durch eine prophylaktische 'Wahl-'Operation zu verhindern. Der Einriss einer Hauptschlagader ist meist ein fatales Ereignis, das nur wenige Patienten überleben.
Klinisches Bild
Typischerweise macht eine Erweiterung der Brustschlagader keine oder sehr unspezifische Beschwerden, zumindest keine Schmerzen. Gelegentlich kann eine neu aufgetretene Heiserkeit, Schluck- oder Atemschwierigkeiten oder Rückenschmerzen darauf hinweisen. Oft werden sie rein zufällig entdeckt, weil aus anderen Gründen ein Röntgenbild oder eine Computertomografie angefertigt wurden. Typische Symptome und Zeichen einer Aortenruptur sind ein plötzlicher Kollaps, ein plötzlicher Schmerz im Rücken und der Blutungsschock.
Diagnostik
Das Rupturrisiko hängt primär vom Gefässdurchmesser ab, wird aber von weiteren Risikofaktoren verstärkt. Zu diesen gehören Rauchen, das weibliche Geschlecht, Bluthochdruck, Rupturen in der Verwandtschaft, bestimmte Lungenerkrankungen und eine exzentrische Kugelform des Aneurysmas. Die Diagnose wird mit Hilfe der Computer-Tomografie der Magnet-Resonanz-Angiografie (MRI) gestellt.
Zeitpunkt der Behandlung
Kritisch wird es bei Männern ab einem Maximaldurchmesser von 5 Zentimetern und bei Frauen ab 4,5 bis 5 Zentimetern, oder bei Zunahme des Durchmessers von über einem Zentimeter innerhalb eines Jahres. Das Risiko, dass die Schlagader platzen und der Patient innerlich verbluten kann, nimmt dann deutlich zu. Wenn die Schlagader noch nicht die kritische Grösse erreicht hat, wird das Wachstum regelmässig mit Kontrollen in der Aortensprechstunde überwacht. Die Aortensprechstunde haben wir extra für Patienten mit Erkrankungen an der Brustschlagader eingerichtet. Vor einer Behandlung sind ausgedehnte Zusatzuntersuchungen des Herzens, der Lunge und anderer Organe notwendig, damit das Behandlungsrisiko abgeschätzt werden kann.
Operationstechnik
Die Therapie der Erweiterung der Brustschlagader richtet sich im Wesentlichen nach der Anatomie. Lokal begrenzte Aneurysmen können gut mit einer beschichteten Drahtprothese, einem Stentgraft, behandelt werden. Der Stentgraft wird dann durch eine Leistenschlagader eingeführt und an entsprechender Stelle unter Durchleuchtungskontrolle platziert. Dieser Eingriff ist relativ kurz und wird gut ertragen, weshalb man die Behandlung auch minimal-invasiv bezeichnet. Im Idealfall müssen durch den Stentgraft keine wichtigen abgehenden Äste der Aorta überdeckt werden. Falls dies aber der Fall ist, können unter Umständen Stentgrafts mit Seitenarm-Prothesen oder mit Aussparungen (Fenestrationen) angefertigt und eingesetzt werden. Diese Eingriffe können zeitintensiv sein und die Belastung durch Röntgenstrahlen kann erheblich sein. Ausserdem sind die Gefässprothesen sehr teuer. Wenn die vorher erwähnte Methode aus anatomischen Gründen nicht möglich ist, ersetzen wir die Aorta mit einem Kunststoffrohr durch einen offenen Eingriff. Unter Umständen müssen dazu beide Körperhöhlen (Brusthöhle und Bauchhöhle) eröffnet werden. Abgehende Schlagadern werden in die Kunststoffprothesen eingenäht. Solche Eingriffe werden mit Hilfe der Herzlungenmaschine unter Einlungen-Beatmung durchgeführt und können 6 bis 9 Stunden dauern. Hier am Inselspital haben wir langjährige Erfahrung mit solchen Eingriffen und arbeiten zur Überwachung der Rückenmarksfunktion eng zusammen mit der Universität Maastricht in Holland. Vor einem solchen Eingriff sollte der Patient in guter Verfassung sein und seine Atmung im Hinblick auf den Eingriff auf trainieren. Die Dauer des Spitalaufenthaltes dauert in diesen Fällen 14 Tage gefolgt von einer stationären Rehabilitation von 4 Wochen.
Nachbehandlung
Nach Stentgraft-Behandlung führen wir noch vor Austritt eine CT-Angiographie als postoperative Ausgangsuntersuchung durch. Nach abgeschlossener Heilung der Leistenwunden sind diese Patienten meistens rasch wieder leistungsfähig und selten länger als 2 - 4 Wochen arbeitsunfähig. Wegen der Gefahr des Nachrutschens der Stentgraft-Prothesen oder des Auftretens von Endoleckagen müssen diese Patienten langfristig und regelmässig klinisch und mittels Computertomogramm in der Aortensprechstunde nachuntersucht werden. Nach offenem Aortenersatz erfolgt vor Austritt eine Bildgebung. Die Arbeitsunfähigkeit beträgt in der Regel 3 Monate. Es ist vorranggig, dass die Patienten sich gut vom Eingriff erholen und in den ersten 3 Monaten nicht einem strengen Trainingsprogramm zugeführt werden. Nach 6 Monaten werden die Patienten zu einer klinischen und Röntgen-Verlaufskontrolle in die Aortensprechstunde aufgeboten. Eine Computertomografie oder MR-Angiografie (MRI) wird in der Regel vorgängig am gleichen Tag durchgeführt. Wir empfehlen, das Tragen von Gewichten über 5 bis 10kg für 3 Monate zu vermeiden und lebenslang nicht mehr als 20 Kg zu heben. Patienten mit Erkrankungen der Brustschlagader sollten langfristig in Kontrolle bleiben. Wenn die Aorta stabil ist, werden die Abstände zwischen den Kontrollen länger und können im besten Fall alle 5 Jahre erfolgen.